Abendstimmung. Ende Sommer. Ein Weiher
unter weißgrauen Wolken. Auf
der rechten Seite etwas Schilfrohr, Gras,
Gebüsch. Im Hintergrund, wie oft,
hohe Tannen, Buchen, einige Birken,
Haselsträucher im Übermaß,
ein Fruchtbaum, unter dem sich was bewegt:

Ein Stück Rehwild mit einer roten Decke
zieht eben zur Äsung aus, verhofft,
ist aber weder zu heimlich, noch vergrämt,
äst einzelne Blätter, Knospen und Kräuter.
Wahrscheinlich eine führende Ricke,
deren Kitze hinter einer Hecke
versteckt sind. Sie zieht weiter unentwegt
in Richtung Wasser. Ob sie sich frischen
wird? Gefällte Baumstämme verdecken
die Szene und geben sie nicht wieder her.

Mit ihren ruhigen, malerischen
Bewegungen hatte sie meine Blicke
gefesselt und irgendwie gezähmt.
Auf einmal fühl ich mich ganz leer
geworden. Sinnend und wie ein Zerstreuter
trete ich den Heimweg an. Langsam wirken
die Sommerfarben anders im Verlauf
der nächsten Stunden. Ein letzter Reiher
streicht ab. Das Dunkle platzt aus allen Ecken –

Was gleicht wohl auf Erden…
Bunte Sprüche, grüne Sprüche, schöne Verse.
Zeitgenössische Jagdlyrik
Anthologie, Melsungen, Oktober 2010