Mittagssonne

Ein Stück Rehwild verlässt vertraut​
die Dickung wie ein Mensch sein Haus,​
es tritt zur Äsung aus,​
nimmt hier ein Blatt und dort ein Kraut​
und trollt zur nächsten Wiese,​
die nicht gemäht ist. Wie so oft​
ist’s heute auch von Anbeginn​
ohne irgendeinen Begleiter.​

Es muss ein junger Rehbock sein,​
er wirft nur selten auf, verhofft​
nicht lange, zieht dann weiter​
an der Tanne vorbei, lässt diese​
stehen und wechselt langsam in​
den Tageseinstand ein –​

Die kleine Fähe. Ein Porträt

Für Hans

Auf etwas in der Ferne
hat sie die Seher gerichtet,
also äugt sie sozusagen
in die Zukunft. Die Gehöre
sind spitz und die Nase neigt
nach vorn, sie windet –

Was sie am Anfang ihres Lebens,
wahrscheinlich unter einer Föhre,
wohl jetzt empfindet?
Ob sie sich schon verpflichtet
fühlt und weiß, was niemals vergebens
sein wird, wenn der Nebel steigt?
Ahnt sie bereits die Macht der Sterne
sowie dann des Jägers Fragen?

Dichterkreis Jagdlyrik im BJV, Ausgabe 2012