Seltene Gäste vor dem ersten Schnee

Wahrscheinlich auf dem Wege
nach Südeuropa lassen sich
ein halbes Dutzend Schwanzmeisen auf
den Knödeln im Garten nieder.

Sie kichern und picken im Verlauf
der nächsten Viertelstunden
und schwirren manchmal davon
in irgendein Baumversteck
im Holz für einige Sekunden.

Für sie ist heute alles erlaubt,
sie kullern und pfeifen wie an Sonn-
und Feiertagen im Gehege.

Auf einmal sind sie alle weg
und kommen jetzt nicht mehr wieder.
In zwanzig Jahren war’s für mich
das zweite Treffen überhaupt –

Jagd und Natur in Worten fühlen
Lyrik und Prosa zu Jagd und Natur (Anthologie)
Dichterkreis Jagdlyrik, Ausgabe 2023 (Oktober  2022)

Ein Reiher spricht

Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass ich mich vor
dem Traktor fürchte, der den Acker pflügte
und dort, das Laute fällt in sein Ressort,
auch weiter tut, als wär er der Vergnügte!

Vergnügt bin ich, denn durch sein Pflügen sind
die ganzen Galerien grauer Mäuse
zu sehen. Und ich schnapp sie mir geschwind,
als wär auf Fische ich an einer Schleuse.

Und zack die nächste, zack. Entschuldigt bitte,
dass ich mit vollem Schnabel nicht mehr sprech‘,
(besonders schmackhaft war für mich die dritte).
Jetzt gilt’s, ganz still zu sein, und dann doch frech –

Jagd und Natur in Worten fühlen
Lyrik und Prosa zu Jagd und Natur (Anthologie)
Dichterkreis Jagdlyrik, Ausgabe 2023 (Oktober  2022)

16. August 2020

Am Waldesrand unweit des Hofes war
bei dem warmen trocknen Sommerwetter
ein Rehbock zu sehn. Nur kurz äugte er
zum Stall, denn von dort kam keine Gefahr.
Dann nahm er einzelne Eschenblätter
auf und äste in der Wiese weiter
die Kräuter und die Knospen Stück für Stück,
bevor er langsam zu Holze zurück
zog ohne Hast und ohne Begleiter,
als wäre das Ganze nur nebenher –

Der Wildhüter
Mitteilungsblatt für Naturschützer, Berufsjäger, Jagdaufseher, Jäger und Falkner
Jahrgang 2022, Nr. 3 (September)

Im feuchten Frühjahr

Seit Stunden drückte ein heftiger Regen
die Gräser und Halme zu Boden,
die Weiden ließen ihre Äste hängen,
die Blumen krümmten sich vor nassen Winden.

Es schnürte ein triefender Fuchs vorbei
in einer der nächsten Episoden,
er lief, auch ohne sich anzustrengen,
am Rapsfeld entlang bei der Försterei
den rauen und rissigen Rinden
der schlank gewachsenen Tannen entgegen –

Der Wildhüter
Mitteilungsblatt für Naturschützer, Berufsjäger, Jagdaufseher, Jäger und Falkner
Jahrgang 2022, Nr. 2 (Juni)

Die gute Richtung

Wenn Altholz im Kaminfeuer knistert,
wenn Füchse vor dem Hausfenster schnüren,
wenn immer wieder in unsre Gläser
der Rotwein fließt, wenn’s lautlos zu schneien

beginnt, dann sind wir alle verschwistert
mit warmen Glücksideen von früh’ren
und frech’ren Zeiten und dem, was Bläser
von heute neuen Tönen verleihen –

Der Wildhüter
Mitteilungsblatt für Naturschützer, Berufsjäger, Jagdaufseher, Jäger und Falkner
Jahrgang 2022, Nr. 1 (März)